Fact Sheet – 24. Ernährungsforum Gesundheit 2020

Deutsche Gesellschaft für Ernährung - Sektion Niedersachsen

Von Anfang an –
Epigenetik, Ernährung und Bewegung

 


 

Vorträge

 

Epigenetik – Chance oder Fluch einer frühen Prägung 
Doris Scharrel

 

Handlungsempfehlungen Ernährung vor und in der Schwangerschaft des Netzwerks Gesund ins Leben 
Monika Cremer

 

Stillen und Säuglingsernährung in Deutschland SUSE II stellt sich vor 
Prof. Dr. Mathilde Kersting, Nele Hockamp M.Sc., Prof. Dr. Thomas Lücke

 

Sport & Schwangerschaft aktueller Wissensstand und Empfehlungen für die Praxis 
M.A. Ronja Löw

 


 

 

 

Epigenetik – Chance oder Fluch einer frühen Prägung 
Doris Scharrel, 2. Vorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V., Kiel 

 

Die genetische Aktivität kann dauerhaft durch Umweltfaktoren beeinflusst werden. Epigenetik ist das Bindeglied zwischen Umweltfaktoren und Genetik

 

  • Es gibt verschiedene epigenetische Werkzeuge: DNA-Methylierung, RNA-Interferenz, Histonmodifikation
  • Epigenetischen Marker sind nicht fixiert. Sie sind während des gesamten Lebens änderbar, z.B. unter dem Einfluss von Ernährung und Umwelt. Einige können sogar von früheren Generationen geerbt und weiter übertragen werden.
  • Epigenetische Veränderungen können mindestens vier nachfolgende Generationen überdauern.
  • Epigenetische Vererbung: Veränderungen durch direkten Umsatzreiz werden an nachfolgende Generationen vererbt
  • Generationsübergreifende epigenetische Effekte: ein Umweltreiz wirkt sich direkt auf das Erbgut von drei Generationen aus

 

Die Rolle der Epigenetik

 

  • Die Rolle der Epigenetik besteht darin, dem Körper zu helfen, große Veränderungen der Umwelt und des Lebens zu bewältigen.
  • Sie hilft dem Organismus, während Hungersnöte zu überleben, den weiblichen Körper während der Schwangerschaft oder den Körper von Jugendlichen in der Pubertät zu verändern.
  • Oder einfach bei der Befruchtung
  • Programmierungsprozesse aus Setzen („establishment“), Aufrechterhaltung („maintenance“) und Löschen („erasure“) von Imprinting-Signalen sind zeitlich und örtlich hochkomplex und werden durch eine Vielzahl von Faktoren reguliert
  • Die Rolle von Umweltfaktoren bei der Veränderung epigenetischer Muster ist wegen kumulativer Einflüsse oft über einen längeren Zeitraum schwierig zu beurteilen.

 

Beispiele für Schädigung der epigenetischen Abläufe

 

  • Für Schwermetalle wie Cadmium und für Pestizide wie Vinclozolin konnte im Tiermodell nachgewiesen werden, dass sie schädigend auf die Methylierungszustände wirken.
  • Zigarettenrauch begünstigt die Demethylierung und damit Aktivierung von Genen, die für die Metastasierung von Lungenkrebszellen verantwortlich sind.
  • Ein Mangel an Folat und Methionin, die beide der Bereitstellung von Methylgruppen bei der Methylierung dienen, führt zu einer veränderten Expression des geprägten IGF1-Gens, eines Wachstumsfaktors.

 

Fluch der Epigenetik

 

  • epigenetischen Veränderungen können Krankheiten erzeugen.
  • „aktiv gemachten Gene“ können mit bestimmten Krankheiten assoziiert werden.
  • Krebs könnte zum Beispiel durch das Aktivieren von zu viel wachstumsfördernden Gene oder im Gegenteil durch das Ausschalten von tumorunterdrückenden Genen verursacht werden.
  • Beispiel: Untersuchung von epigenetischen Mustern bei Personen, die intrauterin dem niederländischen Hungerwinter 1944/1945 während der Frühschwangerschaft ausgesetzt waren, mit ihren gleichgeschlechtlichen Geschwistern, die mehrere Monate vor bzw. nach dem Hungerwinter gezeugt worden waren.
  • Mehr als 6 Jahrzehnte später gab es noch deutliche epigenetische Veränderungen
  • Personen mit maternaler Mangelernährung in der Frühschwangerschaft hatten im Vergleich zu gleichgeschlechtlichen Geschwistern eine DNA-Hypomethylierung
  • DNA-Hypomethylierung ist mit einer erhöhten Inzidenz und frühem Auftreten einer KHK assoziiert.

 

Chance der Epigenetik

 

Wir sind, was wir essen – besonders in der Schwangerschaft

 

  • Die ersten 1000 Tage von der Konzeption an gerechnet sind eine wertvolle Chance für epigenetische Programmierung
  • Frühe Programmierung durch die Ernährung beeinflusst lebenslange Gesundheitsoutcomes, indem sie Genexpression dauerhaft verändert
  • Mütterliches Gewicht und Überernährung führen zur Fehlprogrammierung des Stoffwechsels beim Kind und beeinflussen damit die spätere Gesundheit des Kindes
  • Grundlage für eine gute Gesundheit des Kindes schaffen durch Gewichtsreduktion der Mutter vor der Schwangerschaft und gesunder Ernährung mit adaptierter Gewichtszunahme in der Schwangerschaft.
  • Verändertes intrauterines Milieu kann zu einer Fehlprogrammierung zentraler Körpergewichts- und Stoffwechselregulationsmechanismen führen. In der Folge entwickeln sich bei den Kindern adipöser Mütter im späteren Leben eher Übergewicht und kardiometabolische Erkrankungen.
  • In der Praxis sollte Frauen mit Adipositas und Kinderwunsch eine Reduktion des BMI vor der Schwangerschaft empfohlen werden.
  • Eine ausgewogene Ernährung sowie adäquate körperliche Aktivität während der Schwangerschaft tragen zudem zur Vermeidung einer ungünstigen Programmierung des Stoffwechsels und endokriner Regulationsmechanismen bei. Diesbezüglich sollten adipöse Frauen beraten und geschult werden.
  • Präkonzeptionelles Untergewicht erhöht das Risiko für ein niedriges Geburtsgewicht (< 2500 g) und SGA-Babys ( Small for Gestional Age) • Präkonzeptionelles Übergewicht/Fettleibigkeit erhöht das Risiko für ein LGA-Baby (Large for Gestational Age) , hohes Geburtsgewicht (> 4.000 g), makrosomes Kind (≥ 4.500 g) , folgendes Übergewicht/Fettleibigkeit
  • Niedriges Geburtsgewicht verändert die fetale Programmierung der Appetitregulation, der Insulinsensitivität und des Adipozytenmetabolismus fördert ein schnelles Aufholwachstum , wodurch die Entwicklung einer Adipositas begünstigt wird.
  • Niedriges Geburtsgewicht verändert die intrauterine Programmierung der Fettmasse oder/ und des Adipozytenstoffwechsels und fördert die Entstehung einer abdominalen Adipositas
  • Niedriges Geburtsgewicht führt Hyperinsulinämie als Kompensation für eine geringere Insulinsensitivität des Organismus und zu einer Vergrößerung der Adipozyten, v. a. im subkutanen Bereich
  • Niedriges Geburtsgewicht verändert das Verhältnis zwischen Muskel- und Fettmasse und/oder die Verteilung des Fettgewebes.
  • Niedriges Geburtsgewicht hat möglicherweise dauerhafte Konsequenzen auf die Zusammensetzung und damit den Energieumsatz des Körpers.
  • Niedriges Geburtsgewicht verändert die fetale Programmierung der Appetitregulation über den Hypothalamus mit Erhöhung des Appetits und der Nahrungsaufnahmen oder Verminderung nach Nahrungsangebot
  • Niedriges Geburtsgewicht für zu Funktionsveränderungen der Schilddrüse oder der Mitochondrien mit Unterschieden im Energieumsatz als Folge. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass im Tierexperiment der Nachwuchs infolge einer intrauterinen Energierestriktion eine geringere körperliche Aktivität aufwies.
  • Hohes Geburtsgewicht führt erhöhtem Übergewichtsrisiko mit allen Folgeerkrankungen

 

Nachhaltige Beeinflussung von epigenetischer Fehlsteuerung

 

  • Beratungskonzepte, die schon während der pubertären Entwicklung, bzw. vor dem Kinderwunsch erfolgen
  • Beratung mit generationsübergreifenden Ansätzen
  • Schulungen und Materialien, die eine Sprache sprechen
  • Supplementierung (z.B. Folsäure) von jungen Frauen, am besten noch vor der Schwangerschaft zur Reduzierung des SGA-Risikos
  • Eine Korrektur der Folgen durch intrauterine Fehlernährung nach der Geburt ist schwierig.
  • Die Ernährungs-Intervention muss die Mutter betreffen.
  • Vermeidung von Übergewicht und starke Gewichtszunahme in der Schwangerschaft
  • Generationsübergreifende Ansätze bei Schulungen und Aufklärung

 

Literatur:

 

  • Fetale Programmierung und frühkindliche Prägung,
    J. Dötsch, S. Zepp, Monatsschrift Kinderheilkunde 2016.164:89-90
  • Fetale Programmierung, F. Louwen, Gynäkologe 2014.47:655-659
  • Intrauterine Prägung-Konzept und Bedeutung der Plazenta, Thorsten Braun, Gynäkologe 2020.53:416-426
  • „Environmental enrichment“und Schwangerschaft, Birgit Arabin, Gerlinde A. S. Metz, Gynäkologe 2020.53:433-443
  • Fetale Programmierung des Diabetes mellitus Typ 2, C. Eberle, MW-Fortschritte der Medizin Originalien Nr. III/2010 (152.Jg.), S. 76-82
  • Epigenetik – Prägende Eindrücke im Erbgut , Spektrum der Wissenschaft, 2018
  • Fetale Programmierung Petra Clara Arck, Kurt Hecher, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
    B. Toth (Hrsg.), Fehlgeburten Totgeburten Frühgeburten, DOI 10.1007/978-3-662-50424-6_2
    © Doris Scharrel

 


 

Handlungsempfehlungen Ernährung vor und in der Schwangerschaft des Netzwerks Gesund ins Leben 
Monika Cremer, Netzwerk Gesund ins Leben 

 

Die Empfehlungen Ernährung vor und in der Schwangerschaft des „Netzwerks Gesund ins Leben“, sollen Grundlage für die Beratung zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil sein. Verbunden mit dem Ziel, die Gesundheit von Müttern sowie Kindern zu fördern als auch Übergewicht und damit verbundenen Erkrankungen vorzubeugen. Sie sind auf der Webseite des Netzwerks nachzulesen. Diese Empfehlungen werden von den relevanten Berufsverbänden und Fachgesellschaften unterstützt. 

 

Handlungsempfehlungen:
https://www.gesund-ins-leben.de/inhalt/handlungsempfehlungen-29378.html.

 


 

Stillen und Säuglingsernährung in Deutschland SUSE II stellt sich vor 
Prof. Dr. Mathilde Kersting, Nele Hockamp M.Sc., Prof. Dr. Thomas Lücke
Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE), Universitätskinderklinik Bochum

 

Hintergrund 

 

Stillen ist die beste Ernährung für den Säugling. Empfohlen wird ausschließliches Stillen in den ersten Lebensmonaten und anschließendes Teilstillen mit altersgemäßer Beikost solange Mutter und Kind dies wünschen. Für eine effektive Stillförderung sind aktuelle, umfassende und systematisch erhobene Daten zum Stillen im Sinne des in Deutschland empfohlenen integrativen Stillmonitorings unerlässlich.

 

 Die SuSe-II-Studie

 

Ziele

 

  • Erfassung und Bewertung der aktuellen Stillbedingungen in deutschen Geburtskliniken sowie des Stillens und der Säuglingsernährung im Verlauf des 1. Lebensjahres
  • Vergleich mit der SuSe-Studie 1997-98 zur Beurteilung der Entwicklung in den letzten 20 Jahren 

 

Design 

 

  • Kombination aus einer Querschnittsstudie in deutschen Geburtskliniken und Follow-up-Befragungen dort rekrutierter Mutter-Kind-Paare (0,5, 2, 4, 6 und 12 Monate nach der Geburt)
  • Einsatz eines webbasierten Versand- und Erinnerungsinstrumentarium (in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik ISST, Dortmund)
  • Teilnehmer
  • 109 Kliniken (16 % der Geburtskliniken in Deutschland)
  • 962 Mutter-Kind-Paare (34 % der potenziellen Teilnehmerinnen aus den beteiligten Kliniken)

 

Zentrale Ergebnisse

 

  • Die Empfehlungen für die Stillförderung wurden in den Kliniken zum größten Teil umgesetzt. 
  • Im Alter von 4 Monaten wurden 56 % der Säuglinge ausschließlich gestillt.
  • Im Alter von 12 Monaten wurden 41 % der Säuglinge noch teilgestillt.
  • Risikofaktoren für eine kurze Stilldauer (<4 Monate) waren u.a. mangelnde Stillabsicht, fehlende? Stillerfahrung, niedriger Schulabschluss, frühes Zufüttern  
  • Beikost wurde überwiegend in dem empfohlenen Zeitfenster (5.-7. Monat) eingeführt.
  • Als wichtigste Informationsquelle zum Stillen und zur Säuglingsernährung empfanden die Mütter die Hebamme; häufig genutzte Quellen waren außerdem das Internet, Kinderärzte und Freunde/Verwandte

 

 Fazit für die Praxis

 

Der Vergleich zwischen den beiden SuSe-Studien 1997-98 und 2017-19 zeigt eine erfreuliche Annährung der Stillförderung im Krankenhaus und des Stillens und der Säuglingsernährung an die Empfehlungen in den letzten 20 Jahren. Es besteht aber weiterhin Verbesserungspotenzial, insbesondere bei der zielgruppenspezifischen Motivation und Unterstützung stillwilliger Mütter. Eine regelmäßige Durchführung prospektiver Studien wie SuSe ist notwendig, um den Bedarf und die Wirkungen zielgerichteter Stillförderung effektiv untersuchen zu können.

 

Links 

 

http://www.suse-fke.de/

 

https://www.dge.de/fileadmin/public/doc/ws/dgeeb/14-dge-eb/14-DGE-EB-Vorveroeffentlichung-Kapitel3.pdf

 

https://www.gesund-ins-leben.de/inhalt/handlungsempfehlungen-29389.html

 

https://www.mri.bund.de/de/themen/nationale-stillkommission/

 

https://www.gesund-ins-leben.de/_data/files/bbf_faktenblatt_ergebnisse.pdf

 


 

Sport & Schwangerschaft aktueller Wissensstand und Empfehlungen für die Praxis 
M.A. Ronja Löw, Sportwissenschaftlerin B.E.S.T Burgdorf Schulze & Löw GbR

 

Botschaften

 

  • Die Gesundheit und Sicherheit von Mutter und Kind sollten zu jedem Zeitpunkt der Sportausübung oberste Priorität haben 
  • Eine moderate und regelmäßige Sportausübung in der Schwangerschaft hat positive Effekte auf Schwangerschaft, Entbindung und die Entwicklung des Kindes. 
  • Die Sportausübung sollte insgesamt moderat statt intensiv sein und insbesondere schwangerschaftsspezifische Bereiche wie das Becken-, Rücken- und Stabilisationstraining beinhalten. 

 

 Quellen

 

  • Sport in der Schwangerschaft (2016), Sulprizio & Kleinert. Springer Verlag 
  • https://www.dshs-koeln.de/sport-und-schwangerschaft/
  • Schwangerschaft und Sport: Teil 1: Folgen für Mutter und Kind (2010), Korsten-Reck . Gynäkologe 44 
  • Sport und Schwangerschaft: Status quo der Forschung und 
    Folgen für die Praxis (2008), Sulprizio et al., Sportverl. Sportschad. 

 

Zusätzliche Infos

 

 NATIONALE STILLSTRATEGIE

 

https://www.mri.bund.de/de/aktuelles/meldungen/meldungen-einzelansicht/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=342&cHash=2d7ec98938bb7819627c0ef87f76ae39

 

https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/schwangerschaft-und-baby/stillstrategie.html