Frühjahrsfachtagung “Zucker in der Diskussion”

Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. - Sektion Niedersachsen

Am 20.2.2019 fand in der Akademie des Sports Hannover eine Frühjahrsfachtagung zum Thema Zucker in der Diskussion statt. Die Tagung wurde gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE), Sektion Niedersachsen, der Akademie des Sports im LandesSportBund Niedersachsen e.V. und vom Institut für Ernährungspsychologie an der Georg-August-Universität Göttingen durchgeführt.

Das Max-Rubner-Institut hat auf Basis von Verzehrsdaten aus der Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) unlängst die durchschnittliche Aufnahme von Zucker in Deutschland berechnet. Danach verzehren Männer 9,8 % der täglichen Kalorien in Form von zugesetztem Zucker, Frauen 10,1 %. Addiert man den in Fruchtsäften und Nektaren enthaltenen Zucker hinzu (sog. freie Zucker), kommt man bei Männern auf 13,0 % der Kalorien, bei Frauen auf 13,9 %. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt maximal 10 % der Kalorien in Form von freien Zuckern (WHO 2015). Die Referenteninnen und Referenten der Tagung beleuchteten das Thema Zucker in der Ernährung aus vielfältigen Perspektiven.

Im ersten Vortrag erörterte Frau Prof. Dr. oec.troph. i. R. Hannelore Daniel, TU München, Mythen und Fakten zum Thema Zucker. Sie berichtete, dass Zucker derzeit wie keine andere Zutat bzw. kein anderer Inhaltsstoff zum Sinnbild von Gesundheitsgefahr geworden ist. Die Studienlage erlaubt aber keine derartige pauschale Bewertung, da nahezu alle wissenschaftlichen Studien nur den Energiegehalt als das Kernproblem beim Zuckerkonsum identifiziert haben. Zwischen Tiermodellen mit extremen Zucker-Dosierungen und der realen Verzehrssituation beim Menschen gibt es zudem erhebliche Unterschiede, die die Übertragbarkeit der Ergebnisse einschränken.

Nachfolgend ging Neele Mattausch, Ökotrophologin am Olympiastützpunkt (OSP) Niedersachsen, auf das Thema Zucker in Freizeit-, Breiten- und Leistungssport ein. Für die tägliche Ernährung im Freizeit- und Breitensport gelten grundsätzlich die Empfehlungen der DGE bzw. des American College of Sports Medicine. Im Leistungssport gelten ggf. sportartspezifische Vorgaben. Eine zusätzliche Energiezufuhr während der sportlichen Belastung ist erst ab einer Belastungsdauer >1,5 h sinnvoll. Dafür kommen je nach Belastung verschiedene Zuckerquellen in Frage, da kurzkettige Kohlenhydrate die Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus ermöglichen. Für Energieriegel im Sport wird ein Verhältnis Kohlenhydrate:Fett von maximal 5:1 empfohlen. Bis zu 50 % der Kohlenhydrate in Riegeln können Zuckerarten sein.

Die Frage „Macht Zucker süchtig?“ wurde im dritten Beitrag von Herrn Prof. Dr. med. Johannes Hebebrand, Universität Duisburg-Essen, diskutiert. Es ist unstrittig, dass das zentrale Belohnungssystem sowohl beim Essen wie auch beim Substanzkonsum beteiligt ist. Zwischen pathologischem Substanzkonsum und Essen gibt es allerdings eine Reihe von Unterschieden. So ist beim Essen gerade kein Verlangen nach Monosubstanzen wie Zucker und Fett zu beobachten (obwohl im Handel frei verfügbar), sondern nach komplex zusammengesetzten Lebensmitteln mit den verschiedensten Inhaltsstoffen. Es gibt daher keine harte Evidenz für eine substanzgebundene Sucht analog der aktuellen DSM-Diagnosekriterien. Die vielfach verwendete Forschungsdiagnose „Food addiction“ (gemessen mit dem Fragebogen Yale Food Addiction Scale 2.0) ist zudem nicht spezifisch für Adipositas. Nur ein geringer Teil der von Adipositas Betroffenen erfüllt die Diagnosekriterien, dafür aber sehr viele von Essstörungen Betroffene. Herr Hebebrand schlägt als Mitautor der Neurofast-Stellungnahme vor, statt von „Food Addiction“ (Substanz steht im Vordergrund) besser von „Eating Addiction“ (pathologisches Verhalten steht im Vordergrund) zu sprechen. Andere Autoren diskutieren auch, die Diagnosekriterien im Sinne einer „Processed Food Addiction“ zu verändern.

Per Videokonferenz stellte Herr Prof. Dr. med. dent. Christian Splieth, Universität Greifswald, evidenzbasierte Strategien zur Prävention von Karies vor. Der vergleichsweise hohe Anteil von Kohlenhydraten und Zucker in der heutigen Nahrung stellt zwar den wesentlichen nutritiven Auslösefaktor für Karies dar. Dabei ist die Frequenz der Aufnahme für das Risiko entscheidender als die Dosis. Betrachtet man allerdings die Datenlage zur Kariesprävention, dann ist die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Ernährungslenkung verglichen mit Maßnahmen zur Mundhygiene unter Anwendung von Flouriden unzureichend. Die tägliche Anwendung fluoridhaltiger Zahncreme mit Mundhygieneinstruktion ist durch die Kombination von Plaqueentfernung mit lokaler Flouridapplikation die mit großem Abstand wirksamste Präventionsstrategie. Durch Umsetzung dieser Strategie konnte die Karieshäufigkeit in Deutschland bei 12jährigen Kindern 2016 gegenüber 1994/95 um 82 % gesenkt werden. Die Aufnahme von Kohlenhydraten und Zucker war in diesem Zeitraum relativ konstant. Milchzahnkaries soll zukünftig durch erhöhten Flouridgehalt in Kinderzahncreme noch besser vorgebeugt werden.

Frau Prof. Dr. Anette Buyken von der Universität Paderborn stellte im Schlussvortrag die Ende 2018 veröffentlichte „Quantitative Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland – ein Konsensuspapier der DGE, DAG und DDG“ vor. In dem Papier schließen sich die Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (DAG), die Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) der Empfehlung der World Health Organization (WHO) aus dem Jahr 2015 an, und sprechen sich für eine maximale Zufuhr freier Zucker von weniger als 10 % der Gesamtenergiezufuhr aus. Freie Zucker umfassen Mono- und Disaccharide, die Hersteller oder Verbraucher Lebensmitteln zusetzen, sowie in Honig, Sirupen, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften natürlich vorkommende Zucker. Im Konsensuspapier werden verschiedene verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen zur Reduktion der Zuckeraufnahme diskutiert (DOI: 10.4455/eu.2019.006).

Thomas Ellrott, Leiter der DGE Sektion Niedersachsen und des Instituts für Ernährungspsychologie an der Georg-August-Universität Göttingen